Schülerakademie 2018
Pressemitteilung zur JMCE-Schülerakademie 2015
72 ausgewählte Schüler und Schülerinnen der Klassen 7 und 8 von neun Gymnasien aus Stadt und Landkreis Osnabrück setzten sich gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern vom 09. bis zum 23. Juni in einer Schülerakademie des ‚Jean Monnet Centre of Excellence in European Studies‘ an der Universität Osnabrück (JMCE) mit Themen rund um Europa auseinander. Unter der Federführung von Carolin Hoburg wurde ein vielfältiges Kursprogramm entwickelt, an dem Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen verschiedener Fachbereiche der Universität als Lehrende beteiligt waren.
Die Kunsthistorikerin Monika Hegenberg gab zum Startschuss in das interdisziplinäre Akademieprogramm einen Workshop zum Thema „Wer hat’s erfunden? – Guerilla Gardening und seine Wurzeln in der Kunst des 20. Jahrhunderts“. Im Bereich der Politikwissenschaften angesiedelt war der Kurs von Prof. Dr. Ralf Kleinfeld: hier wurde untersucht, wie Bürgerinnen und Bürger in Brüssel ihre Interessen zur Geltung bringen können. Lisa-Katharina Weimar gab zusammen mit Dr. Frank Wolff (beide Migrations- und Integrationsforscher) einen Kurs zu dem Thema „Bilder – im Kopf, im Museum, in den Medien: wie wir auf Migration blicken und was daran irreführend sein kann“. Rechtswissenschaftlerin Caroline Mindach behandelte mit den Schülerinnen und Schülern die Frage, wie die EU sicherstellt, dass bei Lebensmitteln „drin ist, was drauf steht“. Karin Kokorski, Janna Gerdes und Rouven Brinkmann aus der Anglistik / Amerikanistik stellten Comics als kulturelle Landkarte Europas vor. Erneut um Migration ging es im letzten Kurs von den Soziologinnen Lisa-Marie Heimeshoff und Dr. Johanna Neuhauser. Nachdem zunächst die gegenwärtigen Migrationsbewegungen untersucht wurden, ging es im zweiten Teil des Kurses darum, wie die Schülerinnen und Schüler selbst von Migration betroffen sind.
Die Mitwirkenden aus der Universität und den beteiligten Schulen zeigten sich begeistert von der Leistungsbereitschaft und Motivation der Akademieteilnehmer und -teilnehmerinnen. Dies ist wohl auch der Grund, warum die Schülerakademie jährlich auf wachsenden Zuspruch unter den Gymnasien in und um Osnabrück stößt.
Den feierlichen Höhepunkt bildete am 30. Juni die Abschlussveranstaltung in der Schlossaula mit Dozierenden, Eltern, Freunden und Verwandten im Rahmen derer alle Schülerinnen und Schüler mit einem Zertifikat über den Besuch von zwei Kursen ausgezeichnet wurden. So war auch dieses Jahr wieder einmal die Schülerakademie ein voller Erfolg, an den das Organisationsteam vom Jean Monnet Centre im nächsten Jahr gerne anknüpfen wird.
Für weitere Informationen zum JMCE und seinen Aktivitäten, beispielsweise der Vortragsreihe im bevorstehenden Wintersemester 2015/16 zu europapolitischen Themen, wenden Sie sich bitte an die Direktorin des Centres, Prof. Dr. Andrea Lenschow (andrea.lenschow@uni-osnabrueck.de).
Jochen Oltmer, 3. März 2015:
Bericht über die ›Jean-Monnet-Schülerakademie‹ 2014 zum Thema ›Einwanderungs-kontinent Europa‹
Teil der Vorhaben des JMCE ist eine jährliche ›Jean-Monnet-Schülerakademie‹, die im September und im November 2014 zum fünften Mal angeboten wurde, diesmal zum Thema ›Einwanderungskontinent Europa‹. Erneut konnte sie in den Kontext der Herbstakademie Os-nabrück eingebunden werden, einer Initiative Osnabrücker Gymnasien in Zusammenarbeit mit Universität und Hochschule Osnabrück. An der Herbstakademie 2013 nahmen insgesamt 121 Schülerinnen und Schüler teil, sie konnten zwischen 13 Kursangeboten wählen, die schließlich zwischen 6 und 12 Teilnehmerinnen und Teilnehmern umfassten. Für den Jean-Monnet-Kurs wählte das Leitungsgremien der Osnabrücker Herbstakademie insgesamt 10 SchülerInnen (Carolinum, Ratsgymnasium, Wüste, Bersenbrück, Oesede, Melle) aus den Jahrgangsstufen 11 und 12 aus, die sich für die Jean-Monnet-Schülerakademie beworben hatten.
Eine erste Vorbereitungssitzung (9–14 Uhr) mit den 10 SchülerInnen aus der Osnabrücker Herbstakademie fand am 30. September 2014 in den Räumen des IMIS statt. Vorab war allen SchülerInnen Material zur Vorbereitung der Akademie zur Verfügung gestellt worden. Die eigentliche Schülerakademie wurde von Mittwoch, den 5. bis Freitag, dem 7. November 2014 jeweils ganztägig durchgeführt. Nach einer rund dreistündigen Präsentation von Grundlagen zum Thema, erarbeiteten die Schülerinnen und Schüler auf der Basis ausgewählten Materials und mit Hilfe der Bestände der Bibliothek eine Fallstudie. Sitzungen im Plenum zur Entwicklung und Präzisierung der Fragestellungen wechselten mit Sitzungen einzelner Arbeitsgruppen zur Vorbereitung einer schriftlichen Dokumentation (die in der Anlage beigefügt ist) und einer Powerpoint-Präsentation ab. Am Dienstag, den 26. November wurden die Ergebnisse der Schülerakademie im Rahmen einer ganztägigen Veranstaltung der Herbstakademie Osnabrück im Kreishaus am Schölerberg vorgestellt. Jede der Gruppen der Schülerakademie er-hielt die Möglichkeit, die Ergebnisse jeweils am Vor- und am Nachmittag im Umfang von 20 Minuten vorgestellt.
Die SchülerInnen arbeiteten wiederum mit großem Engagement und zum Teil bemerkenswert guten Vorkenntnissen an den Einzelthemen, Arbeitsgruppen fanden sich sehr rasch zusammen, die Kooperation in den Arbeitsgruppen erwies sich als gänzlich unproblematisch, die SchülerInnen arbeiteten sehr selbstständig. Im Sinne unserer Überlegungen, mit Hilfe einer Schülerakademie Vorstellungen über relevante Themen europäischer Politik und Geschichte zu vermitteln, hat die Schülerakademie sicherlich positiv wirken können.
Kosten: Die Kosten in Höhe von rund 30 Euro für Getränke, Verpflegung, Kopien, Publikationen und anderes Material hat das IMIS übernommen.
Herbstakademie 2014: Europäische Studien
Von Somalia nach Deutschland. Asyl für einen minderjährigen Flüchtling?
Migration ist ein globales Thema, das auch im Alltag präsent ist, dabei in seiner Komplexität aber kaum erfasst werden kann. Die Debatten um das Wachstum der Weltbevölkerung, die immer drastischeren Disparitäten zwischen Nord und Süd und die sehr umstrittene Frage, ob sich dadurch vermehrt „Armutsmigrationen“ ergeben werden, sind nur einige Beispiele dafür. Deutschland ist Ziel unterschiedlicher Formen von Migration aus Europa, aber auch aus anderen Teilen der Welt. Zu den Zuwanderern zählen auch Kinder und Jugendliche. Aktuell sollen sich beispielsweise 7.000 bis 9.000 minderjährige Flüchtlinge legal oder illegal in Deutschland aufhalten. Doch was bedeutet dies im konkreten Fall für ein Individuum?
Dies versucht der vorliegende Text im Folgenden zu umreißen, indem er sich mit der Situation eines minderjährigen Flüchtlings aus Somalia auf seinem Weg nach Deutschland auseinandersetzt. Das gewählte fiktive Beispiel des 14-jährigen Abadi wurde anhand von Erfahrungsberichten, Zeitungsartikeln und wissenschaftlicher Literatur konstruiert.
Inwieweit verändern sich, soweit nachvollziehbar, die Handlungsspielräume und Perspektiven des Jungen? Welchen Einfluss hat die EU-Grenzpolitik im Mittelmeer, die häufig mit der Vorstellung von einer „Festung Europa“ verbunden wird, auf die Situation der Flüchtlinge? Mit diesen Fragen hat sich die Schülergruppe „Europäische Studien“ im Rahmen der Herbstakademie beschäftigt. Zunächst werden die Situation im Herkunftsland Somalia und die Beweggründe für die Flucht nach Deutschland dargestellt. Anschließend geht es um den Weg Abadis und seine psychischen Belastungen. Im Zielland Deutschland wird anhand dieses Fallbeispiels das Asylverfahren erläutert und die Erfahrungen des Flüchtlings angedeutet. Das Fazit führt die Ergebnisse zusammen.
Das Herkunftsland Somalia
Somalia ist ein ostafrikanischer Staat am Indischen Ozean. Laut UN leben in Somalia 7,5 Mio. Menschen, 60% als Nomaden, 25% als Bauern und 15% im städtischen Raum. Fast 100% aller Somalier gehören dem sunnitischen Islam an. Der Staat ist zerrissen, es herrscht seit 1988 Bürgerkrieg und es gibt keine staatlichen Strukturen mehr, die Sicherheit garantieren. Das liegt an sechs Clans, die untereinander um die Macht konkurrieren und eigene Milizen unterhalten. Diese Nomadenclans verstehen sich als „Samaal“ (die wahren Somali), um sich von den Bauern, den „Sab“ (die unechten Somali), abzugrenzen, die sie als traditionell unterlegen ansehen. Korruption ist weit verbreitet. 2013 erreichte Somalia den höchstmöglichen Wert im Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International. Des Weiteren ist die Ressourcenknappheit ein Problem, denn durch die Wüste in Somalia kann eine selbstständige Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln nicht gewährleistet werden. Diese müssen importiert werden, sind dann aber erheblich teurer. Da das Pro-Kopf-Einkommen in Somalia im Jahr ohnehin nur bei etwa 843 US-$ liegt, kann die Bevölkerung sich keine teuren Lebensmittel leisten und leidet an Hunger und Unterernährung.
Abadi verlässt im Alter von 14 Jahren sein Heimatland Somalia. Im Bürgerkrieg, der bislang eine Million Tote forderte, wurde Abadi bereits mit 11 Jahren als Kindersoldat von der islamistischen Terrormiliz al Shabaab rekrutiert, genau wie weitere 70.000 Minderjährige in Somalia. Gewalt, Angst vor Bestrafung bei Ungehorsam und schwere Misshandlungen prägten seinen Alltag. Bis heute ist er deshalb traumatisiert. Als Kindersoldat konnte er nicht zur Schule gehen. Obwohl er inzwischen nicht mehr Kindersoldat ist, muss er ständig befürchten, erneut rekrutiert zu werden, denn die Terrormiliz hat überall Spitzel, die ehemalige Soldaten aufspüren. Bei seiner Heimkehr findet er ein verlassenes Zuhause vor. Seine Eltern waren Fischer, deren Existenz wegen der Überfischung durch Trawler aus der EU gefährdet war, denn die EU hat bereits seit 1981 Fischereirechte in afrikanischen Gebieten. Außerdem halten unzählige Piratenboote die Bevölkerung davon ab zu fischen.
Somalia bietet für Abadi keine Zukunft. Aufgrund der vielfältigen ökologischen, ökonomischen und sozialen Probleme ist der einzige Ausweg für ihn die Flucht nach Europa. Er weiß von Bekannten, die in Deutschland leben, dass sich der Weg dorthin bewältigen lässt. Abadi ist sich bewusst, dass diese Flucht sehr anstrengend wird und er täglich um sein Überleben kämpfen muss. Er will sich auf die gefährliche Reise nach Europa machen wie die ca. 4000 Flüchtlinge aus Somalia, die 2013 nach Deutschland kamen.
Abadis Weg
Während der ca. 10 000 Kilometer langen Reise von Somalias Hauptstadt Mogadishu, die er Ende 2008 aufnimmt und die ihn nach München führt, ist Abadi vielen Extremsituationen und sehr hohen psychischen sowie physischen Belastungen ausgesetzt. So muss er die größte Wüste der Welt, die Sahara, mehrere Landesgrenzen und das Mittelmeer überwinden, wobei er ständig von Kontrollen der Regierungen, Haft, Gewalt und Ausnutzung bedroht ist. Seine Route führt ihn in Richtung Norden durch Äthiopien und den Sudan nach Libyen und von dort aus mit dem Boot weiter nach Europa, zunächst auf die italienische Insel Lampedusa und dann schließlich nach Deutschland.
Um die Sahara zu durchqueren, begibt sich Abadi in die Hände von Schleppern. Damit sie ihn illegal durch die Wüste führen, muss er seine gesamten Ersparnisse opfern. Weil das Geld aber nicht reicht, ist er immer wieder gezwungen, sich seinen Lebensunterhalt durch unqualifizierte Arbeiten in auf dem Weg liegenden Dörfern zu verdienen. Trotzdem herrschen beständig Wasser- und Nahrungsmittelmangel. Nach einigen Wochen wird die Gruppe jedoch von den Schleppern sich selbst überlassen. In der Sahara bestehen verschiedene Flüchtlingsrouten, die sich an Straßen und Transportwegen orientieren.
Aufgrund von möglichen Kontrollen auf der Hauptroute in der Nähe der Stadt Khartoum im Sudan, entscheiden Abadi und seine Gefährten sich, auf Nebenstrecken weiterzugehen, denn sie haben weder Pass noch Visum. An der libyschen Grenze werden sie festgesetzt und in ein Lager eingewiesen. Es wurde von der libyschen Regierung eingerichtet, da sie von der EU unter Druck gesetzt wurde: Die Flüchtlinge sollen bereits hier davon abgehalten werden, zur Nordküste und von da aus nach Europa zu gelangen. Abadi flieht nach wenigen Wochen aus dem Lager, aus Angst, wieder nach Somalia zurückgeschickt zu werden. Er schließt sich aufs Neue einer Gruppe Flüchtlinge an, mit der es ihm im Herbst 2010 gelingt, zu einer kleinen Küstenstadt nahe der Hauptstadt Tripolis zu gelangen. Dort bleibt Abadi ca. sechs Monate, um Geld für die Überfahrt, die 800 bis 4000€ kosten kann, nach Lampedusa zu verdienen. Diese wird von einem Schlepper organisiert, der dafür 2000€ verlangt. Der Transport erfolgt mit einem kleinen, überfüllten Schlauchboot, auf dem Nahrungs- und Wassermangel herrscht.
Nach zwei Tagen erreicht Abadi Lampedusa, wo er in ein überfülltes Auffanglager gebracht wird. Die Lebensbedingungen sind hier sehr schlecht: Es herrschen Mangel an Nahrung, Wasser und Schlafmöglichkeiten sowie unzumutbare hygienische Zustände. Nach 2 Monaten erhält Abadi 300€ von der italienischen Regierung, mit denen er auf das Festland geschickt wird, um das Land zu verlassen. Italien verstößt somit gegen die Dublin-Verordnung, laut der das Land, das der Flüchtling zuerst betreten hat, für das Asylgesuch zuständig ist. Von Kalabrien fährt Abadi mit dem Zug nach Turin und von dort aus weiter nach München.
Die Erlebnisse auf der Flucht haben nachhaltig negative Auswirkungen auf die Psyche insbesondere unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge. Die Migration ist ein tiefer Einschnitt in die Lebensgeschichte eines Flüchtlings: Trennung von vertrauter Umgebung, vertrauten Menschen, vertrauter Sprache und Tradition. Viele haben existenziell bedrohliche Situationen erlebt, sei es in ihrem Herkunftsland, sei es auf ihrer Flucht. Der Tod ist ständiger Begleiter sowohl auf den Routen durch die Sahara als auch bei der Überquerung des Mittelmeers. Das Erlebte führt häufig zu einer Posttraumatischen Belastungsstörung mit Übererregbarkeit, Schreckhaftigkeit und ständiger Beschäftigung mit den todesnahen Erlebnissen, zum Beispiel durch „Flashbacks“. Kern des Traumas ist der Verlust des Sicherheitsgefühls und des existenziellen Vertrauens.
Die jugendlichen Flüchtlinge wirken einerseits älter, weil sie Erfahrungen machen mussten, die man keinem Erwachsenen zumuten möchte. Andererseits mussten sie eine größere Selbstständigkeit entwickeln. Später in Deutschland kann es dazu führen, dass die Jugendlichen ihre Pubertät nachholen. Auch Abadi ist durch seine Erlebnisse bei seiner Flucht betroffen und leidet unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung.
Asyl in Deutschland
Am Hauptbahnhof in München wird Abadi von der Bundespolizei aufgegriffen. Die Kommunikation gestaltet sich sehr schwierig. Nach kurzer Gesichtskontrolle setzen die Beamten sein Alter auf 18 fest, obwohl Abadi beteuert, 17 Jahre alt zu sein. Dies ist gängige Praxis bei Flüchtlingen ohne Ausweis, denn auf diese Weise ist es möglich, sie in einer Flüchtlingsunterkunft für Erwachsene unterzubringen. Damit ist Abadi vor dem deutschen Staat nun offiziell erwachsen. Bei dieser Vorgehensweise geht es vor allem darum, Unterbringungskosten zu sparen. Statt ca. 6000 Euro im Monat für Jugendliche belaufen sich so die Kosten nur auf ungefähr ein Zehntel. Diese Entscheidung verschlechtert Abadis Aussichten auf einen Neuanfang in Deutschland grundlegend. Die sogenannten UMF (unbegleitete minderjährige Flüchtlinge) unterstehen dem Jugendschutz. Dies bedeutet, dass Abadi ein Vormund zustehen würde und er laut der UN-Kinderrechtskonvention die gleichen Rechte wie einheimische Waisenkinder gehabt hätte. Diese gilt in Deutschland nur eingeschränkt. Auch 16- bis 17-jährige kommen oft in Sammellager für Erwachsene statt in eine Wohngruppe für Jugendliche. Die als volljährig Eingeschätzten kommen mit dem Jugendamt nie in Kontakt und geraten völlig aus dem Blickfeld dieser Behörde. Abadi muss das Asylverfahren nun in Eigenregie durchlaufen.
Zunächst wird Abadi jedoch in eine Erstaufnahmeeinrichtung gebracht, in der sich viele weitere Flüchtlinge befinden. Dort wird er als Flüchtling registriert und durchsucht. Erneut erfolgt eine Altersfeststellung, die nach Aussagen vieler Flüchtlinge meist nur 15 Minuten dauert. Oft werden die erstmaligen Altersfestsetzungen dabei ohne jede Überprüfung übernommen.
Auf dem Gelände der Erstaufnahmeeinrichtung befindet sich ein Büro des BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge). Hier stellt Abadi einen Asylantrag, bei dem er über seine Rechte und Pflichten aufgeklärt wird. Außerdem werden seine persönlichen Daten erfasst, ein Foto gemacht und ihm werden seine Fingerabdrücke abgenommen. Im Anschluss erhält er eine Aufenthaltsgestattung, die während des laufenden Asylverfahrens gilt. Wenn das Bundesamt einen Asylantrag erhält, entscheidet es zunächst, ob überhaupt ein Asylverfahren durchgeführt wird. Etwa ein Viertel aller Asylanträge wird gar nicht inhaltlich bearbeitet. Dann wird im sogenannten Dublinverfahren geprüft, ob Deutschland überhaupt für den Asylantrag zuständig ist oder ein anderer Mitgliedstaat der EU oder die Schweiz, Liechtenstein, Island oder Norwegen. Dies geschieht hauptsächlich mithilfe des EURODAC-Systems (Abgleichen von Fingerabdrücken mit der europäischen Datenbank), das ermittelt, ob der Flüchtling bereits in einem anderen Land einen Asylantrag gestellt hat. Schließlich wird Abadi von einem Mitarbeiter persönlich zu seinen Fluchtgründen befragt. Diese Anhörung ist der wichtigste Teil des Asylverfahrens.
Sein Antrag wird zwar abgelehnt, weil Abadi keine individuelle politische Verfolgung durch seinen Herkunftsstaat nachweisen kann. Trotzdem wird er in Deutschland geduldet, d.h. aufgrund der gefährlichen Situation in seiner Heimat Somalia und der Tatsache, dass er keinen Pass hat, kann er nicht ausgewiesen werden. Bis eine Abschiebung möglich ist, bleibt Abadi also in Deutschland und muss seinen Duldungsantrag alle sechs Monate verlängern.
Über die Verteilung im Rahmen des „Königsteiner Schlüssels“ wird Abadi nach drei Monaten in der Erstaufnahmestelle einem Bundesland zugewiesen. So kommt er in das Asylbewerberheim Bramsche-Hesepe in Niedersachsen. Dort teilt er sein Zimmer mit vielen anderen erwachsenen Asylbewerbern. Wegen der Duldung ist er nicht berechtigt, Landkreis und Stadt Osnabrück zu verlassen und Geld zu verdienen. Da er auf dem Papier volljährig ist, hat er keinen Anspruch auf Schulbildung. Abadi leidet an Schlaflosigkeit, ausgelöst durch die Ungewissheit, ob er in Deutschland bleiben darf. Dennoch hofft er weiterhin und entgegen aller Erwartungen auf ein humanitäres Aufenthaltsrecht, das es ihm ermöglicht, erwerbstätig zu werden und der erdrückenden Träge seines Alltags zu entfliehen.
Fazit
Abadis Flüchtlingsweg ist kein Einzelfall. So wie ihm ergeht es auch vielen anderen tausend Flüchtlingen auf dem Weg nach Deutschland und innerhalb Deutschlands. Allein über 4200 Somali stellten ihre Asylerstanträge von Januar bis September 2014 in Deutschland. Letztendlich wurden aber nur vier als Asylberechtigte eingestuft, 250 geduldet bzw. geschützt nach den „Genfer Flüchtlingskonvention“ und 242 direkt abgelehnt.
Literatur
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letzter Zugriff jeweils: 7.11.2014